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Während Secondhand-Kleidung boomt bricht der Altkleidermarkt unter seiner Fülle zusammen. Wir brauchen eine echte Kreislaufwirtschaft, bei der Recyclingstrategien bereits im Produktdesign mitgedacht werden.
Mein erstes Secondhand-Kleidungsstück war ein kamelbraunes Cordsakko aus dem Kleiderschrank meines Vaters, die nächsten Teile stammten aus einem Laden in Hannover, in dem die Secondhand-Kleidung nach Kilopreis verkauft wurde. Besonders cool war die gebrauchte Lederjacke vom Flohmarkt in Amsterdam. Das alles entsprach unserem Lebensgefühl Anfang der 1980er Jahre.
In den Neunzigern und den sogenannten Nullerjahren geriet Secondhandmode ein bisschen aus dem Fokus und man fand deutlich weniger Läden in den Städten. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Markt nun erneut in die andere Richtung entwickelt. Es eröffnen neue Secondhand-Läden, zahlreiche Onlineportale, wie zum Beispiel Kleiderkreisel und Ubup, erweitern das Angebot und Kleidertauschparties sind angesagt.
Ina, die Besitzerin des Secondhand-Ladens Fanny in Bonn berichtet im Interview von ihren Erfahrungen. Als sie Anfang des Milleniums gestartet ist, verkaufte sich gebrauchte Kinderkleidung sehr gut, in den letzten Jahren jedoch wurde die Nachfrage nach Damenbekleidung immer größer. Auch Herrenbekleidung ist immer gefragter, für die sie aber leider keinen Platz hat. Ina betont, dass seit dem Erstarken der Fridays for Future-Bewegung noch mehr Kundschaft in ihren Laden komme.
Nicht nur die jungen Leute der sogenannten Generation Z suchen nach Wegen für einen ressourcenschonenderen Lebensstil, allgemein scheint das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Das haben offenbar auch die Modemarken und der Modehandel erkannt. Secondhand, Resale, Pre-owned, Vintage sind die neuen Schlagworte in der Branche.
Sucht man Mitte Oktober 2020 beim Branchenorgan TextilWirtschaft nach dem Begriff „Kreislaufwirtschaft“, finden sich allein neun Treffer für die letzten vier Wochen, in denen von Modemarken oder Plattformen berichtet wird, die ihren Einstieg in den Resale-Markt verkünden, neben COS finden sich unter anderem Gucci, Iris von Arnim, Asos und Zalando.
Secondhand-Kleidung versus Altkleider
Während im Handel mit Secondhand-Kleidung die Umsätze steigen, droht die Recycling- und Entsorgungsbranche an den schnelllebigen Wegwerfprodukten der Fast Fashion zu ersticken. Denn nur der wenigste Teil der Altkleider wird in Secondhand-Läden abgegeben oder direkt über die Onlineportale verkauft. Ca. 80 % aller anfallenden Altkleider werden nach wie vor über Container entsorgt. Und hier hinein kommen zunehmend mehr unbrauchbare Kleidungsstücke.
Der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. (bvse) hat in seiner im Sommer 2020 veröffentlichten Alttextilstudie erneut hervorgehoben, dass die Sammelmengen für Alttextilien in den letzten Jahren deutlich gestiegen seien, die Qualität der gesammelten Textilien aber stetig abnehme. Auch der Anteil der Schad- und Störstoffe habe deutlich zugenommen.
Nicht nur für die gewerblichen Textilrecycling-Unternehmen wird die abnehmende Qualität zu einer Überlebensfrage, sondern auch für die karitativen Organisationen, die traditionell einen großen Anteil an der Altkleidersammlung haben. Der Dachverband FairWertung ist das bundesweite Netzwerk von gemeinnützigen Organisationen, die Altkleider sammeln. Laut Thomas Ahlmann von FairWertung arbeiten die gemeinnützigen Organisationen inzwischen an der Wirtschaftlichkeitsschwelle.
Die guten ins Kröpfchen, aber was ist mit dem Töpfchen?
Die Trennung und Entsorgung der nicht mehr tragbaren Alttextilien wird durch Quersubventionierung aus dem Verkauf der tragbaren Secondhand-Kleidung finanziert. Nimmt der Anteil an Tragbarem ab, bricht dieses Finanzierungssystem irgendwann zusammen. Das Gros der Fast Fashion-Mode ist aufgrund der minderwertigen Qualität nicht für den Secondhand-Markt geeignet – und zumeist nicht mal für ein Downcycling zu Putzlappen oder Dämmstoffen. Diese Waren aber fluten zunehmend die Altkleidercontainer. Und: die minderwertigen Waren werden nicht nur rein mengenmäßig immer mehr, sondern auch prozentual. Nicht zuletzt, weil die noch tragbare und hierbei insbesondere die Markenkleidung zunehmend mehr von den Onlineportalen abgeschöpft wird.
Von der Entsorgungs- zur Kreislaufwirtschaft
Der sogenannte Circular Economy Action Plan der EU sieht vor, dass Textilien ab 2025 EU-weit getrennt gesammelt werden müssen, so wie aktuell bereits Glas und Papier. Hiervon sind nicht nur die Sammel- und Verwertungsbranche, sondern auch der Handel betroffen. Ganz besonders gefragt sind aber die herstellenden Unternehmen der Modebranche, die nun endlich Recyclingstrategien im Produktdesign mitdenken müssen.
Um die Menge an Altkleidern zu verringern und den Anteil der wiederverwend- und verwertbaren Ressourcen zu erhöhen, ist die Entwicklung innovativer, kreislauffähiger Bekleidung von großer Bedeutung. Die technologischen Voraussetzungen sind vorhanden und einige Vorreiter bereits am Markt. Nun sind die großen Marken gefragt, dies für die gesamte Produktpalette ernsthaft umzusetzen.
Und nicht zuletzt sollten wir Konsumentinnen uns die Frage stellen, ob wir uns zukünftig nicht lieber als Trägerinnen und Nutzerinnen von Kleidung verstehen möchten, denn als Verbraucherinnen, und ob wir der Qualität und der Herkunft der Bekleidung mehr Aufmerksamkeit schenken können, als ihrem Preis.
All die vielen Facetten dieses Themas möchte ich in dieser Kategorie weiter beleuchten.
Übrigens: Das kamelbraune Cordsakko hat in den letzten 35 Jahren einmal ein neues Futter bekommen und so wunderbarerweise mehrere modische Renaissancen erlebt. Aktuell wird es wieder von meinem Vater getragen.
Comments (1)
Sehr gut beschrieben liebe Andrea! Beim Recycling und der Wiederverwertung von Materialien ist noch jede Menge Potenzial für neue Ideen vorhanden. Und ansonsten: „Buy less, choose well“ wie es Vivian Westwood so schön postuliert.